Eigentlich wollte ich die Mittagspause nutzen, um meinen Energietank ein bisschen aufzufüllen. Das bedeutet, dass ich ein Nickerchen auf der Couch machen wollte. Die Idee an sich ist genial. Aber wenn der Mann zu Hause ist und
A – eine gut hörbare Schulung per Pc laufen hat und
B – in der Schulungspause lautstark in der Küche rumwerkelt,
dann braucht man als müder Coucher viel Geduld!
An den sächsichen Dialekt des Schulungsmeisters und die Monotonie seines Vortrags hätte ich mich gewöhnen können. Aber das Geklapper in der Küche fordert mich heraus. Ist ja schön und sehr praktisch, dass der Mann so fleißig ist. Gerade was das Ausräumen der Spülmaschine betrifft. Aber da werden Teller geknallt – KLIRR! Und Schranktüren geöffnet – QUIETSCH! Geschirr abgestellt – KNALL! Türen wieder geschlossen – RUMMS! Besteck in die Schublade geschmissen – SCHEPPER! Und geflucht, weil irgendwas runtergefallen ist – (…)
Aber ich lag da und war eisern entschlossen, meine Siesta zu halten.
Der Fernseher lief leise, was mir normalerweise beim Einnicken hilft. Zu schlapp, um zur Fernbedienung zu greifen und Werbung umzuschalten, harre ich in meiner Kuscheldecke aus und schau einfach zu. Die Bilder der Werbung sind schnell, grell und hektisch. So viel Zeug soll einem das Leben erleichtern und verschönern. Immer besser, immer neuer, immer leichter. Ich überlege, wie leicht das Leben wohl in 40 Jahren sein wird, wenn die Forschung und die Industrie in dem Tempo weiter Sachen erfinden und verbessern will. Und vor allem, wie schwer wir es alle hatten in den letzten Jahrzehnten! Du liebe Güte, das muss die Hölle gewesen sein! Wie haben wir das nur heil überstanden?
Meine Gedanken wandern in die Zeit, als ich Kind war. Da gab es natürlich auch Werbung, damals eher als Reklame bekannt. Aber ich meine, dass die Spots lange nicht so schnell und hektisch gewirkt haben wie heute. Das waren teilweise richtige kleine Werbefilmchen! Ich denke da an die Allianz-Werbung. Haste das Lied im Ohr? „.. denn wer sich Allianz versichert, der (hat völlig ausgekichert) „ – danke, Otto!
Der grantige Nachbar mit seinem Kirschbaum.
Oder der Typ, der durch Italien düst – „quer durch Neapel hinein in den Tomatenstapel“. Alle italienischen Dorfbewohner sind außer Rand und Band, doch als der Typ seine Allianzkarte zückt, freuen sich alle und feiern ein Tomatenfest.
Hat Spaß gemacht, zuzuschauen!
Dann denke ich an die Fa Werbung. Schöne Menschen springen von Klippen ins Meer und tauchen nicht nur erfrischt sondern auch blitzsauber wieder auf – dank Fa!
Seife – die Auswahl war nicht groß, aber dafür viel einfacher. Es gab Fa, Palmolive, Lux, Irischer Frühling und CD.
„An meine Haut lasse ich nur Wasser und CD“ Diese Seife war toll, die war durchsichtig! Wir hatten Lux zu Hause. Ist es nicht viel einfacher, wenn man nicht so irrsinnig viel Auswahl an Produkten hat und sich schnell entscheiden kann?
So wie bei Shampoo zum Beispiel. Fast alle, die ich kannte, benutzten das gleiche Shampoo: Schauma! Entweder 7 Kräuter oder Apfelshampoo! Das roch voll gut!
Und der Badezusatz war mit Fichtennadelduft. Überall, jedes Bad.
Die Wäsche wurde mit Persil gewaschen „da weiß man, was man hat. Guten Abend!“ oder mit „Ariel“ , so wie es Clementine tut. Wenn man so viel Wäsche hat, dass man sie an kilometerlange Leinen hängen muss, dann mit „Weißer Riese“ Waschpulver.
Nach der Wäsche gibt’s Mittagessen, weil „Miracoli ist fertig!“ und der Nachmittagskaffee hieß „Krönung“ oder „Dallmayr Prodomo“.
Und alle waren zufrieden!
Geduftet haben wir nach „Bac“, das war nämlich für alle da. Und die Haare wurden gestyled von „Stu-stu-stu-Studioline von L’oreal“ oder „3-Wetter-Taft „, vor allem wenn man in Rom war bei 30 Grad. Die Frisur sitzt!
Gekaut hab ich „Wrigley’s Spearmint gum-gum-gum“ und die einzige Qual der Wahl, die ich in meiner Kindheit hatte, war Cornetto Nuss oder Erdbeer?!
Rückblickend empfinde ich diese Eingeschränktheit der Markenprodukte als sehr wohltuend. Einfach. Leicht. Wenn ich heute nur in einen Drogeriemarkt gehe und 3,4,5 Regalmeilen voller Duschgel und Shampoo sehe, bin ich überfordert.
Warum nicht nur Nivea? Oder für die coolen Menschen Creme 21! Ich dachte wirklich, diese Creme ist nur für Leute ab 21 erlaubt und traute mich nicht, sie anzufassen!
Von meiner großen Schwester inspiriert trug ich wie 99% aller Altersgenossinnen den Duft von „My Melody dreams“ und war stolze Besitzerin eines Roll-on Lipgloss, wahlweise in den Geschmacksrichtungen Orange oder Himbeer. Echt klebriges Zeug, aber die Lippen glänzten und ich fühlte mich wunderschön!
All diese Reklamefilmchen und Werbespots hatten im TV ihren festen Zeitplan. Immer Abends im Vorprogramm, danach kamen Nachrichten und der Fernsehfilm. Und dass es nur 3 Programme waren, hat niemanden gestört. Vor allem mich nicht, denn ich war die Fernbedienung meiner Eltern. Man wusste es auch nicht besser, die Film- und Serienflut der Privatsender, Netflix & Co hatte noch nicht eingesetzt.
Und wenn mal was wirklich gutes lief, wie Dallas, Denver Clan, Stahlnetz oder Detektiv Rockford , dann redeten am nächsten Morgen alle darüber! Weil alle das gleiche gesehen hatten. Und gehört – alle Jungs in meiner Jahrgangsstufe konnten Otto zitieren. „Angeklagter, Ihnen wird zur Last gelecht, Sie hätten einen Ast zersächt, der hat dann den Gast erlecht, als der sich mit dem Quast gepflecht! …“
Selbst die Musik war eher begrenzt. Jedenfalls hab ich das so empfunden. Du warst meist einer bestimmten Menschengruppe zugeteilt und hast dich auch so verhalten.
„Liegt der Popper tot im Keller, war der Punker wieder schneller!“
Rock, Pop, Punk oder Disco. That’s it! Irgendwann kam Rap dazu, Rock wurde unterteilt in Hard Rock, Heavy metal, Speed metal, Death metal, Trash metal. Verwirrend! Pop war als Überbegriff auch irgendwann abgelöst – aber bitte ich hab keine Ahnung, wie die Musikstile heute alle heißen! Müssen an die tausend sein. Ich müsste googeln. Viel zu aufwändig.
Weißt du, was man vor 40 Jahren gemacht hat, um sich über Musik zu informieren?
Richtig! BRAVO, Popcorn oder PopRocky gelesen! Die BRAVO war die Jugendbibel!
Ich hab einen richtigen Heftchen-Lebenslauf, angefangen mit Bussi Bär (gibt’s den eigentlich noch?), über Fix und Foxi (ich mochte Pauli den Maulwurf), dann die Stafette im Abo, bei wichtigen Arztbesuchen bekam ich ein Yps Heft! Diese Wassermänner und –frauen haben mich unheimlich gereizt! Es wäre so einfach gewesen – fünf DM bezahlen, ein Pulver ins Wasser schütten und eine lebendige Wassermann-Familie züchten! Phantastisch! Aber meine Mom war dagegen. Mir unbegreiflich!
Nach der Stafette kam Mädchen. Und danach gleich die BRAVO.
Und beim Kieferorthopäden, in dessen Wartezimmer bzw. Flur ich elend viel Zeit verbracht hab, lagen Biggi-Hefte aus. Biggi war toll! Ich wollte unbedingt so sein wie Biggi! So dünn, so hübsch und so sympathisch!
Weiß der Geier, was passiert ist!
Während all diese Gedanken in meinem Kopf umeinanderwschwurbeln, muss ich eingenickt sein. Trotz Küchengeklapper und monotonem Sachsen im Lautsprecher. Der Handywecker klingelt und die Pause ist vorbei.
Im TV läuft schon wieder der nächste Werbeblock. Handywerbung, Pizzalieferdienst, veganer Brotaufstrich, Kinderkäse, Fitnessuhren, nachhaltige Gemüsekisten, Lebensmittel liebende EDEKA Mitarbeiter und Babybrei, für den der Hersteller mit seinem Namen steht. Ist mir spontan zuviel! Ich schalte die Kiste aus und fliehe unerholt zurück in die Arbeit.
Nachdenklich sitze ich im Auto. Trotzdem uns all diese Dinge zur Verfügung stehen in dieser riesigen, unüberschaubaren Auswahl, die das Leben und den Alltag erleichtern und verschönern sollen – so sehr bin ich überzeugt, dass weniger unser Leben doch leichter machen würde.
Wenn die Auswahl nicht so groß ist, tut man sich leichter!
Setz mal einem 3jährigen vor ein Regal im Toys’r’us, der flippt dir aus!
Leg dem 3jährigen zwei Dinge vor die Nase, dann greift er eins! Fertig!
Warum soll es bei Erwachsenen anders sein?
Weniger ist mehr. Nicht immer – aber immer öfter! (lach)
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