Happy Feiertag euch allen!
Mir kommt dieser freie Tag ganz recht, in der Praxis hat sich die Hölle aufgetan und ist drauf und dran, uns alle zu verschlingen. Aber daran will ich jetzt nicht denken, jetzt ist Feiertag.
Am 1. Mai ist es mir zur Gewohnheit geworden, meinen besten Freund zu besuchen. Andreas hat früher in Rothenburg ob der Tauber gewohnt, da hab ich ihn oft besucht. Dann ist er zu seiner Verlobten Manuela nach Ravensburg gezogen und ich dachte, ich besuche ihn auf seiner Hochzeit. Jetzt wohnt Andreas auf dem Friedhof in Bad Windsheim. Seit 9 Jahren schon.
Ich breche am Vormittag auf. Über die Autobahn mag ich nicht fahren, zum einen ist die Zufahrt eh gesperrt wegen der vielen Motorradfahrer, die sich dort bündeln. Und zum anderen ist Landstraße viel schöner. Ich starte mit Earth, Wind & Fire, bis ich aus der Stadt heraus bin. Die Straße ist fast frei, die Sonne scheint und ich seh lauter schöne Dinge. Links und rechts von mir erstrecken sich Rapsfelder, die gelb in der Sonne leuchten. Vor mir fährt ein VW Käfer, mein liebstes Lieblingsauto aller Zeiten, das hat einen alten Koffer und ein Surfbrett dekorativ an die Motorhaube geschnallt. Beim Überholen grinse ich den Fahrer an, er grinst zurück.
Meine Laune hebt sich, ich entspanne mich und genieße das Alleinsein. Mich begleiten Simon & Garfunkel durch viele kleine Dörfer mit lustigen Namen. Wilhelmsgreuth und Ipsheim und Gackenmühle. Es gibt ganz viele alte Fachwerkhäuser und Wirtschaften, die "Zum roten Ross" oder "Zum weißen Schwan" heißen. Ich überlege, wie lange die da wohl schon existieren und wer da schon alles aus und ein gegangen ist. Ich fahre durch Waldstücke, die die Sonne durch die Bäume blitzen lassen, sehe sehr große Vögel über mir und Kirchen mit kleinen Türmchen. Es wird immer friedlicher - um mich und in mir. Als ich den kleinen Friedhof erreiche, finde ich direkt am Tor einen Parkplatz und geh rein, mit meiner Blume in der Hand.
Sofort hab ich das Gefühl, die Welt ist ausgeschaltet. Hier drin, auf dem Friedhofsgelände, herrscht eine andere Zeit.
Als ich Andreas' Kirschbäumchen sehe, muss ich lächeln. Ich freu mich, ihn zu besuchen!
Zuerst lege ich die Rose zu seinem Namenschild. Das erinnert mich immer an ein Klingelschild in einem großen Wohnhaus.
Ich begrüße ihn und frag ihn, ob er sich mit den neuen Nachbarn versteht. Augenblicklich fühl ich mich ihm sehr nah. Es ist still, nur die Vögel zwitschern und von weit hört man Schafe blöken. Der Wind weht durch den Kirschbaum und die Zeit ist irgendwie stehen geblieben. Kein Mensch da. Ich setze mich auf die Bank und erzähle Andreas, wie es mir geht, was ich so mache, was ich so denke.
Ich frag ihn, ob seine Seele eigentlich hier an den Friedhof gebunden ist. Oder ob gestorbene Seelen in Lebewesen schlüpfen. Prompt setzt sich ein kleiner Vogel auf den Klingelschildstein. Mein naives Hirn interpretiert sofort! Wärs eine weiße Taube gewesen, ich wär wahrscheinlich von der Bank gekippt.
Mir fallen die vielen Samstage ein, als ich Andreas besucht hab, damals in Rothenburg. Als wir einkaufen gefahren sind und in der Tiefgarage jemand die Musik laut hatte. Andreas fing sofort an zu tanzen Dazu nämlich! Zu Hause bei ihm haben wir gekocht und den Whiskey niedergemacht. Ich erinnere mich an den Monolog, dass und warum ich seinen heiligen Verstärker nicht anfassen darf. Wir haben zusammen Gitarre gespielt und Take me hoooome, Country Roooooad gegrölt. Einmal durfte ich seine langen Haare kämmen. Er meinte, das sei ein absolutes Privileg. Der Ritterschlag, quasi. Ich war sehr stolz. Ich hab ihm meine Platte von den Goldenen Zitronen vorgespielt und er kam mit Normahl um die Ecke. Er war mal Punk, erzählt er.
Jetzt kommen ein paar Leute an mir vorbei und ich muss die Klappe halten. Die bleiben auch noch stehen und gucken. Und gucken. Geht halt weiter, Herrschaftszeiten!!
Endlich bin ich wieder allein.
Irgendwann mal hat Andreas gesagt, "Wenn die Bine da ist, ist es ein richtig schöner Abend!" Das war ein echt schönes Kompliment, da freu ich mich heut noch!
Wir haben mal zusammen ein Stammtischtreffen besucht. Die Leute haben wir nur online gekannt und Andreas hat mich gezwungen, ihn ja nicht allein zu lassen! Weil er wüsste nicht, was er dann reden soll. Am Ende war er das Kindermagnet, alle anwesenden Kiddies haben sich auf ihn gestürzt und in Beschlag genommen. Hab ihn mit einer Schneemaß gerettet und den Kindern aufgetragen, sie müssen jetzt alle Andreas malen. Da drüben, am anderen Tisch. Auf dem Nachhauseweg am nächsten Tag sind wir in eine Nebelbank geraten und während ich im Schritttempo dahinschleiche, in der Hoffnung, nicht gegen einen Baum zu knallen, erzählt mir Andreas ein paar Grusel-Horror-Geschichten, in denen immer Nebel vorkommt.
Ich hab ihm mal versprochen, ihm sein Lieblingsessen zu kochen - Schweinebraten mit viel Soße und Kloß. Aber dazu kam es dann nicht mehr.
Von seinem Sohn hab ich erfahren, dass Andreas gestorben ist. Plötzlich. Ohne Vorwarnung.
Im Mai 2015, kurz nach seinem Geburtstag.
Ich vermisse ihn, die schöne Zeit, die lustigen Abende, die Gespräche, seine Stimme, sein Gang, sein Grinsen. Alles. Und das sag ich ihm auch. Dass er mein bester Freund ist.
Seine Liebste, Manuela, ist kurz nach ihm auch gestorben. Vielleicht sind die beiden jetzt zusammen, auf einer Wolke, fröhlich und tiefenentspannt. Ich wünsch es ihm!
Es fällt mir schwer, mich zu verabschieden. Diese friedliche Stimmung hier tut der Seele gut. Bevor ich gehe, hör ich mir ganz leise unser Lied an. Andreas hat es uns geschenkt
Die Heimfahrt ist genauso schön wie die Hinfahrt. Plötzlich krieg ich so Lust auf ein Eis! So arg, dass ich ranfahr und mir eins aus der Tanke hole. Zwei Segelflieger kreisen über mir, ein Hund springt durch ein Feld, freut sich, dass er endlich aus dem Auto darf und ein Bauer zieht Furchen durch seinen Acker. Ich hab das Gefühl, ich muss mir jeden Moment einprägen. Meine Gedanken sind noch ganz stark bei Andreas. Vielleicht streift mich eine kleine Ahnung, wie vergänglich alles ist.
Die letzte Wegstrecke begleiten mich Wings & Paul McCartney und das hier - es passt einfach perfekt! Wie Eis zu Sabine, wie Musik ins Auto, wie Arsch auf Eimer! Glückselig fahr ich auf meiner Landstraße, da seh ich tatsächlich den VW Käfer wieder vor mir! Genau den selben, mit dem Koffer und dem Surfbrett! Ha!
Ich hab versucht, ein Foto zu machen, von der Handyhalterung aus.
Später begegnet mir noch eine quietschpinke Limousine und viele, sehr viele Motorradfahrer. Keiner drängelt, keiner nervt. Schön!
Zu Hause setze ich mich in den Garten und schreibe diesen Eintrag. Hoffentlich konnte ich ein bisschen von dem Gefühl hierher transportieren, das mich heute den ganzen Tag überschwappt hat.
Happy Birthday, Andreas!
Sehr schwer wenn man jemanden so früh und so plötzlich verliert ich kenne Leute die das tatsächlich brauchen das sie ans Grab gehen um zu trauern ich kann mir vorstellen das es eine schöne Fahrt war und ich finde es bemerkenswert das du das so positiv vor und nach dem Friedhofsbesuch wahrnimmst
AntwortenLöschenIch mach mir da auch schon lange Gedanken übers Sterben und ich hab noch nicht mal die drei davor besser früh als nie aber zum beispiel für eine körperspende bin ich noch zu jung aber ich sehe was da los ist wenn nix geregelt ist deshalb macht das so früh wie möglich damit den Angehörigen viel erspart bleibt
Find ich schon wichtig, Vorsorge zu treffen. Für die Familie ist es furchtbar, wenn sie neben der Trauer auch noch ewig organisieren muss. Meine Besuche bei Andreas seh ich als Geburtstags Event. Die Nähe, die ich dann spüre, ist positiv!
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