Mein unspektakulärer Arbeitstag
Der Wecker klingelt gnadenlos und haut mir This Corrosion um die Ohren. Im Halbschlaf wisch ich ihn weg. 10 Min später erschallt Boogie Woogie Bugle Boy und warnt mich, dass jetzt höchste Eisenbahn ist! Raus mit dir! Ich sitze leicht bedröppelt am Bettrand und penn im Sitzen wieder ein, zum Glück nur für ein paar Sekunden.
Hilft nichts, ich muss. Draußen ist es grau und es regnet.
Insel von Farin Urlaub kommt mir in den Sinn
... und ich reib mir die Augen und bin froh
ich darf arbeiten gehen
draußen regnet es mal wieder
ach das Leben ist schön
Ja genau. Voll schön.
Ich mach mir Kaffee. Ohne Kaffee funktioniere ich nicht. Im Frühstücksfernsehen kommt ein Bericht über einen Mann, der zum dritten Mal im Lotto gewonnen hat. Er ist mir unsympatisch. Nicht nur, weil ich von Neid zerfressen bin, der Typ macht auf dicken Max und redet, als ob er hinter jedem Satz „ich schwöa“ oder „Digger“ sagen würde. Außerdem ist es ein „isch-Kerl“ . Das pack ich garnicht, isch schwöa, digger!
Oje.
Dann schlepp ich mich ins Bad, versuche mich einigermaßen tagestauglich zu gestalten und verlasse das Haus. Unterwegs ärger ich mich über die veränderte Ampelschaltung. Ich wusste genau, wann ich wie fahren muss, um in einem Rutsch bis zur Praxis zu kommen. 4 Minuten!
Aber jetzt warte ich an fast jeder Ampel. Das nervt.
Mein Farin Insel Lied wird abgelöst von American Pie aus dem Radio. Erfreulicherweise steht das Tor zur Tiefgarage bereits offen, da muss ich nicht mit meinem Drücker kämpfen. Als ich die Praxis betrete ist es viertel vor 8, da kann ich mich in Ruhe umziehen, bevor ich mich einstempel.
Hab ich gedacht. Im fensterlosen Labor starrt mich der schwarze Bildschirm an. Nichts geht, eingefroren. Ganz toll. Ich schalte das komplette System aus und starte neu. Und warte. Und warte. Und warte. Mittlerweile ist es 5 nach 8, die Patienten stauen sich bereits vor der Tür und mein Pc arbeitet so langsam, dass ich versucht bin, direkt wieder nach Hause zu fliehen. Was für ein Elend!
Zehn nach 8 kann ich mich endlich einstempeln. Um die verschleuderten 10 Min muss ich kämpfen, sonst wird mir das automatisch von der Arbeitszeit abgezogen. Das neue Stempelsystem ist so toll.
Dann arbeite ich so vor mich hin. Die Patienten sind überwiegend freundlich, die dazugehörigen Venen auch. Dann haben wir einen Notfall, ein Patient kollabiert im Wartezimmer. Alle springen und tun, was nötig ist. Zumindest sind alle jetzt wach. Der Sani ist gerufen, der Patient lagert sicher auf der EKG Liege, wir arbeiten weiter.
Ping, Pc schwarz. Absturz, nichts geht mehr. Alle Pc’s der Praxis sind lahmgelegt und aus jedem Zimmer kommt eine stöhnende und/oder schimpfende Mitarbeiterin an die Anmeldung. Seltsamerweise macht das Arbeiten so recht wenig Spaß. Zwanzig Minuten Stillstand und Patienten vertrösten. Ohne Pc geht gar nichts.
Früher ging’s auch ohne Computer. Da hatten wir Karteikarten in riesigen Schrankschubladen, nach Alphabet sortiert. Die meiste Zeit hat man mit dem Suchen irgendwelcher Karteikarten verbracht, die waren immer auf mysteriöse Weise verschwunden. Oder die Praxis hatte ein geheimes Bermuda Dreieck, man weiß es nicht.
Der Pc lässt sich gnädigerweise wieder hochfahren und etwas hektisch mach ich die letzten Aufträge für den Fahrer fertig, der gleich kommt.
Tausend Notizzettel flattern um meine Tastatur, alles Dinge, die ich nicht vergessen darf.
In 10 Min war ich zu Hause, ohne Stau diesmal und mit 3 freien Parkplätzen in meiner Straße, wirklich sehr selten so was. Direkt vor dem Haus zu parken ist fast schon ein Event! Erlebnisparkerei in Bauernfeind!
Ich mach mir den restlichen Rosenkohlauflauf von gestern warm. Das hört sich jetzt nicht so spektakulär an, schmeckt aber echt fein! Außerdem bin ich stolz, dass ich den so gut hingekriegt hab. War das erste mal.
Zum Essen gibt es Unsere kleine Farm, so wie immer. Ich kann schon fast mitsprechen und die Dramen, die sich da abspielen, reißen mich nicht mehr so vom Hocker, aber ich brauch das zum abschalten! Grade als Laura und Almanzo Weihnachtsgeschenke in Mankato einkaufen wollen, dämmere ich auf dem Sofa weg.
Bis mich der Handywecker mit der Titelmelodie von Misfits aus dem Schlaf reißt. Meine Lust, wieder in die Praxis zurück zu fahren, hält sich dezent in Grenzen. Ich brauch eine Dose Energy.
Zum Glück steht der Tuco direkt vor der Tür, erneut weiß ich diesen Luxus zu schätzen und fahr mit REO Speedwaggon im Ohr wieder in die Arbeit.
Mein walkman! Ich hab ihn geliebt! Nie ohne aus dem Haus. War ein klobiges, rotes Ding und dazu orangene Kopfhörer. Außer Spider Murphy Gang gab es da die wildesten Mixtapes! Ich hab eiskalt Madonna mit Pink Floyd, Shakin Stevens, Kajagoogoo und Simon & Garfunkel kombiniert! Ich hab die sogar noch im Keller irgendwo, in den Tiefen des Schranks bei meinem Kullertränchen, den Pumuckl Platten und dem Schlumpfhaus! Der Keller ist vollgestopft mit Erinnerungen und allem möglichen Zeug, da hängt auch meine alte Lederjacke, kiloweise John Sinclair Heftchen, ein Haufen Spielzeug von den Kindern und ein ganzes Regal voller Videokassetten! Ich glaub, wenn wir irgendwann diesen Keller aus irgendeinem Grund ausräumen müssen, haben wir die Arschkarte gezogen!
Es ist heute so ruhig in der Praxis, dass es fast schon langweilig ist. Entweder brennt die Hütte und man kommt gar nicht hinterher oder die Leere gähnt einen an.
Noch eine Stunde.
Ich unterhalte mich ein bisschen mit der neuen Kollegin über Kaufhäuser, Kundenfreundlichkeit und die Verrohung diverser Vororte. Sie lässt mich nicht allzu oft zu Wort kommen, also hör ich ihr überwiegend zu. Alles andere hätte keinen Sinn.
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