Mausloch

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Sonntag, 28. November 2021

O Heiland

 Es ist gemütlich hier. Ich sitze am Couchtisch mit einer Kanne Himbere-Lemon-Tee, schreibe ins Mausloch und auf youtube ist eine playlist an: vintage songs aus den 30/40ern, (sowas hier: Schreibmusik ) . Die Kinder sitzen da drüben und lernen hochkonzentriert. Es ist 16 uhr und es beginnt schon, dunkel zu werden. Mir gehts wieder besser und heute Abend gibts Gemüse aus dem Ofen - es ist also alles gut!

Heute morgen, als ich mich mit meinem Kaffee auf die geliebte couch zurückgezogen hab, kam wieder nix im TV. Ich schalte den Fernseher gern ein, weil ich dann Hintergrundgeräusche hab, da kann man gleichzeitig sein Handy checken. Und so schalte ich rum und bleibe bei einer Übertragung eines Gottesdienstes hängen. Aus irgendeiem Grund. Ich hör die Leute und den Chor "O Heiland reiß die Himmel auf" singen und falle in eine Art flashback! Meine Mom hat großen Wert darauf gelegt, dass ihre Kinder am Sonntag morgen brav in die Kirche gehen. Und so haben wir uns nach dem Frühstück angezogen, schön ordentlich, und sind den Weg hoch zur Kirche St. Theresia gelaufen. Als ich ganz klein war hatte ich ein Kindergebetbuch mit vielen Bildern drin. Die Kirche ist eher klein, in meiner Erinnerung aber ziemlich groß und auch hoch. Ich hab während der Messe gern die Marienstatue hinter den 20-Pfennig-Kerzen fixiert. Und den Jesus, der da am Kreuz hängt und dramatisch den Blick zu Boden senkt. In meinem kindlichen Weltbild sahen Maria und Jesus genau so aus! Dann war da der Pfarrer. Ein Mann mit schwarzen Haaren und einer ziemlich fränkischen Aussprache. Außerdem bildete sich immer, wenn er viel redete, zB während der Predigt, ein weißer Spuckefaden, der zwischen Ober- und Unterlippe hing. Ich starrte fasziniert auf diesen Spuckefaden und hab mich gefragt, wann der wohl reißt! Fun-Fact: er ist nie gerissen! Manchmal war der sogar nach der Messe beim Verabschieden noch da!
Immer, wenn gesungen wurde, war ich froh, meine Mom neben mir zu haben. Mama konnte toll singen! Laut und kräftig und wunderschön! Da kann man prima daneben vor sich hin murksen, es fällt keinem auf. Ich hör sie noch! Und ich rieche noch den Weihrauch, der zu besonders festlichen Gottesdiensten verwendet wurde. Einmal ist mir schlecht geworden deswegen. Heute raucht unser Nachbar, der auch Pfarrer ist, ab und zu ein bisschen Weihrauch im Garten. Das zieht dann volle Möhre zu uns rüber und ich hau gleich ab!
Ich konnte alles auswendig: das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser, das AveMaria, und wat nich allet! Aber wenn ich ehrlich bin, aufgepasst hab ich nie. Es war einfach nur langweilig. Das Gebetbuch hatte ich schon längst durch und der geistliche Spuckefaden verliert mit der Zeit auch etwas an Faszination.
Aber danach gings nach Hause, mit viel Hunger im Bauch und sehr erleichtert, dass die Pflicht geschafft war - auf zur Kür! 
Mein Vati ist daheim geblieben, immer, und hat den Vormittag mit einem ungestörtem Bad verbracht. Danach hat er sich ans Kochen gemacht. Und wenn wir ihn gefragt haben, wann das Essen endlich fertig ist, kam immer die selbe Antwort - in 5 Minuten!
Egal, wann wir gefragt haben.
Sonntags gabs immer was besonders feines - Schweinebraten, Gulasch, Hackbraten oder Hühnchen! Mit anschließendem Mittagsschläfchen für die Erwachsenen und Kinderstunde im TV für die Kinder. Rappelkiste oder Sesamstraße.

Rückblickend fand ich diese sonntägliche Routine richtig gut! War mir als Kind nicht bewusst, aber jetzt bin ich mir sicher, das hat mir viel Halt gegeben. 
Allerdings hab ich die sonntäglichen Kirchgänge nach meiner Firmung mit 12 Jahren selbständig beendet und auch meine Kinder nicht in die Kirche gezwungen.  Die Zeiten waren einfach andere.

Ich war schon lange nicht mehr in der Kirche und der Pfarrer mit dem Spuckefaden ist auch schon gestorben - aber trotzdem ist der Sonntag meiner Kindheit eine schöne Erinnerung!




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