Was für eine Schinderei! Der Tag war zweigeteilt - die erste Hälfte war voll entspannt! Obwohl ich sehr nervös morgens in die Praxis gekommen bin. Gestern hab ich den Anruf gekriegt, dass mein verschobener Impftermin auf Dienstag, also auf heute gelegt wurde. Das war mein erster Gedanke beim Aufstehen und ich hab mich, so wie ich es ganz toll kann, ein bisschen reingesteigert. Da sitzt du wie auf Kohlen bis es soweit ist! Viertel vor elf hab ich mich angezogen und bin zum Auto geeilt, mit einem hoffnungsvollen Viel-Glück-Ruf der Kollegin, die nach mir dran ist. Keine Ahnung, was mich da erwartet. Keine Ahnung, wo ich hin muss und keinen Plan, wie das abläuft. Und ob ich gleich umkippe oder erst später.
Ich finde das Parkhaus auf dem Messegelände, alles still, fast leer und total verschneit. Dann hol ich den Rollator aus dem Kofferraum, weil ich ahne, dass ich viel laufen und stehen muss. Zack kommt mir ein Patient entgegen und fragt mich die intelligenteste Frage aller Fragen: "Naaa was machen Sie denn hier?" Ich will die Messehalle mieten für mein nächstes Partyevent und schau sie mir mal an. Maaan ... Der Weg zum Eingang ist weit. Ich stapfe tapfer mit meinem Rolli durch Schnee und Wind bis meine Hände völlig taub sind. Vor dem Eingang steht der erste Wachmann und kontrolliert, ob ich auch das Recht hab, die heiligen Hallen zu betreten. Im Vorraum stehen Tische mit zwei weiteren Gorillas, die meine Unterlagen prüfen. Der eine schaut aufs Papier, auf den Rolli, auf mich "Jaa man hats nicht leicht". Wie soll ich das bitte verstehen? Meint er meine Erscheinung oder erkennt er mein körperliches Leid? Ich muss mir die Hände desinfizieren und darf weiter. Nächster Raum ein Labyrinth aus Absperrungsbändern für den Mob, der da erwartet wird. Es sind aber nur 2,3 Arzthelferinnen da und so muss ich nicht lang warten. Die Räume sind unheimlich. Riesengroß und dunkel und durch die vielen aufgestellten Wände und Absperrungen und aufgeklebten Bodenpfeile hat das ganze etwas gruseliges. Man könnte hier prima einen Thriller drehen! Ich steh am nächsten Schalter. Der Mann möchte ebenfalls meine Unterlagen einsehen, stutzt dann und sagt "Sie sind geboren.. 19 - 70?" und schaut mich an. Äh, ja?! Boah! Ich hör ihn denken. Voll die alte Arzthelferin! Dabei schätze ich ihn auf kurz vor Renteneintritt! Flegel! Mit einem gekonnten Kopfschwung wende ich mich der Dame zu, die mich, nachdem ich mir die Hände desinfiziert habe, im nächsten Raum anweist, auf DIESEM! Stuhl Platz zu nehmen, um mir ein Aufklärungsvideo anzusehen. Wäre lustig gewesen, wäre es ein klassisches Aufklärungsvideo gewesen, so mit wenn der Mann die Frau ganz ganz lieb hat, ... Aber uns wird nur Zeug über die Impfung erzählt. Ich denke mir, so ein Video sollten meine Patienten auch anschauen, bevor sie zu mir ins Labor zum impfen kommen, da würd ich mir so viel Gequatsche sparen!!
Der Film ist aus und wir werden weitergeleitet in einen Gang, der rechts an der Aufstellwand entlang die Impfkabinen hat. Wie Umkleidekabinen im Schwimmbad. Eine mitleidig guckende Frau bietet mir an, den Rolli draußen zu lassen, sie würde ein Auge drauf haben. Schön! Ich muss mir die Hände desinfizieren. In der Kabine begrüßt mich ein studentenhaft aussehender junger Mann mit wichtigem Arztkittel und eine Impfpassstempelkraft. Freundlich und entspannt impft er mich und ich bin überrascht, dass da nicht mehr dahinter steckt. Im TV seh ich Leute impfen, die wohl noch niemals in ihrem Leben das Impfen richtig gelernt haben und erwartete den Schmerz der Schmerzen, aber außer einem Pieksi war nichts. Prima! Weiter gehts den Gang entlang um die Ecke, immer den Pfeilen nach zu einem vorletzen Tischchen mit zwei Helfern, die mir ein Zettelchen mit meiner Zeit in die Hand drücken (nachdem ich sie desinfiziert hatte) und weisen mich an, 30 Min auf DIESEM Stuhl zu sitzen und zu warten, ob ich Atemnot, Herzrasen, Gesichtslähmung, Sabbern oder den kompletten Kollaps aufweise.
So sitze ich in der riesigen Halle auf meinem Stuhl und warte. Andere Helferinnen, die in meinem Arbeitsimperium beschäftigt sind, kommen dazu und wir freuen uns alle, uns zu sehen! Zum Glück fragt keine, was man denn hier mache!
Die 30 Min sind um und nachdem weder Lähmungen noch sonstige Gebrechen zu erkennen sind, schiebe ich den Rolli zur letzten Station, an der ich mir überraschenderweise nicht die Hände desinfizieren muss und bekomme meinen Termin für die 2. Impfung. Auf Wiedersehen!
Draußen laufen mir weitere Kolleginnen und zwei Cheffinnen in die Arme und wir freuen uns riesig, uns zu sehen!
Wieder der lange Weg durch das Schneegestöber zum Auto, Rolli rein, Sabine rein, ab zur Praxis. Schließlich ist noch eine halbe Stunde bis zur Mittagspause.
Das war die entspannte Hälfte des Tages.
In der Pause hätte ich fast verpennt, bin dann mit Karacho zurück in die Praxis und werde von düster dreinblickenden Kolleninnen empfangen - die Kosi ist da! Und weil sie es beschließt, schiebt sie sich in mein Labor und meint, sie würde gern mal ein bisschen zugucken. Ich hasse das, so unter Beobachtung zu stehen. Leider bleibt es nicht bei den versprochenen Beobachtungen, sie quatscht mir ununterbrochen rein. Wenn ich mit einem Patienten rede, wenn ich ihr was erklären soll, wenn ich irgendwas tu. Ich bin nervös und mache Fehler. Hab viel zu tun und werde ganz konfus. Bis sie mein Labor verlässt hab ich jede Menge Arbeit angehäuft und versuche hektisch, den Berg abzuarbeiten. Dann ist Feierabend, Lehrling und ich schimpfen noch ein bisschen über die Kosi und gehen dann in den Feierabend. Und ich noch in den Supermarkt. Das Knie tut höllisch weh, unter der Maske schwitze ich so sehr, dass mir der Schweiß über die Lippen läuft - ein ganz herrliches Gefühl! Draußen schneit und stürmt es. Einkäufe ins Auto, Sabine ins Auto und ab nach Hause. Dort kreise ich 5x um den Block in der Hoffnung auf einen Parkplatz. Den finde ich weit, weit weg, stemme erst mich, dann den Rolli, dann die Taschen aus dem Auto und humpel keuchend gegen den Wind zur Haustür. Der Bub hilft mir (Herzchen!). Und jetzt ist wirklich Feierabend! Ich krieg jetzt einen Fischburger!
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