Mausloch

Das Mausloch ist mein öffentliches Tagebuch.
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Sonntag, 21. Juni 2015

Bine goes to Klinikum

Im Nachhinein sagt man eigentlich immer, es war garnicht so schlimm. So wie jetzt, es ist Freitag, ich bin gestaubsaugt worden und ruh mich schon den ganzen Tag aus. Die HNO Frau ist sehr lieb, aber sie saugt wie ein Vieh! Ich kenne jetzt den genauen Platz all meiner Nebenhöhlen.
Da ich im KH keinen Internet - Kontakt hatte, hab ich versucht alles auf einen Block zu schreiben, damit auch andere Leute dran teilhaben können. Viel Spaß!

Jetzt sitze ich hier, es ist Mittwoch Abend halb zehn und fast die ganze Station schläft. Ich bin in der Halle inmitten der Station, die sich über 3 Stockwerke hoch zieht, in der Mitte steht eine Batterie Krankenfahrstühle - teilweise aus dem alten Jahrtausend - und riesengroße Kletterpflanzen stehen da und verbreiten Hallen-Atmosphäre. Hier in meinem Eck wurden ein paar Tischchen und drei ausgediente Infusionsstühle hingestellt, auf einem von denen sitze ich und versuche zu schreiben.
In meinem Zimmer ist es dunkel, das Kind schnarcht und ich bin hellwach. Außerdem weiß ich, dass ich morgen operiert werde. 
Gestern morgen bin ich hier aufgeschlagen und der Arzt war sich nicht sicher, ob nicht eine Kortison-Kur helfen würde, während der Oberarzt nach einem Blick auf mein CT Bild sofort die OP wollte. OP - klingt so unecht, so bedrohend! Ich fahr also wieder nach Hause um mir ein paar Sachen ein zu packen. Am liebsten würd ich einfach hier bleiben, in meinem Wohnzimmer, Lappi an und zurücklehnen. 
Zurück im KH muss ich erstmal warten - egal wo ich mich hinsetzen soll, ich muss erstmal warten. Dann rauscht eine stark geschminkte Russin herein, die einen Zugang legt. Ich kann nicht hinsehen, weißt, ich seh das nämlich so selten. Zusammen mit einem sehr, sehr alten Mann im Rollstuhl werde ich auf meine Station gebracht. Der sehr sehr alte Mann muss tatsächlich mit einem der Betten im Gang, sprich in dieser Kletterpflanzenhalle, vorlieb nehmen. Wie ungemütlich und vor allem - wie öffentlich! Ich darf in eins der Zimmer. Lena empfängt mich herzlich, Lena ist die Mama von Oskar und Oskar ist der Patient. 15 Monate alt und frisch operiert liegt er Popo nach oben in seinem Gitterbettchen. Ich erfahre, dass Lena noch einen Max und einen Paul hat, in Bamberg wohnt und morgen wieder abfährt. Sie ist bildhübsch und sehr liebevoll zu ihrem Oskar.
Ich hab in dem 2-Bett-Zimmer einen eigenen Fernseher und ein eigenes Bad, das find ich schonmal gut. Ich leg mich aufs Bett, kriege hin und wieder eine Infusion angehängt und fülle die OP-Bögen aus. Is ja klasse, die Risiken und Nachwirkungen, die ich zu akzeptieren habe, jagen mir eine Heidenangst ein. Eine einfallende Nase kann mir passieren, Taubheit der Backe oder Lippe, Verlust des Geruchsinns, Doppelbilder oder Blindheit auf dem linken Auge, Zähne können beschädigt werden ... na klar, unterschreib ich. Wie ein Todesurteil. Ich denke an Helga Veddersen, die nach einem Unfall nach der OP ein verunstaltetes Gesicht hatte.
Papa kommt, bringt mir nen Kopfhörer und Süßes. Für die Nerven. Wir besprechen alle Alltagspflichten und er wünscht mir Glück. Danke, kann ich brauchen.
Dann kam die Nacht. Um 21 Uhr liege ich im Bett (!) und als ich gerade eingeschlafen war kam die Schwester mit der Taschenlampe und schreit "IST ALLES IN ORDNUNG BEI IHNEN?" Zack, Oskar wach, Lena wach, Bine wach. Und dann gingen mir unaufhörlich Bilder durch den Kopf, wie hinter meinem Gesicht herumgeschnibbelt, gesaugt, gelötet und gefräst wird. Grey's Anatomy geht mir durch den Kopf. Mit Schlafen war erstmal nix mehr.
Gegen halb sieben weckt mich Oskar. Lena hat schon alles gepackt und sie verabschieden sich, ab nach Hause nach Bamberg. Mir tut sich ein Zeitfenster auf, allein im Zimmer nutze ich alles, was geht. Fenster auf, TV ohne Kopfhörer und einen fröhlichen Furz in mitten des Zimmers! Was ein Leben! Bis zum Mittagessen (lecker Hähnchen Cordon bleu mit Saat und Waldmeisterglibber) Ich hab den Fensterplatz am Tisch für mich beansprucht, als die nächste Mama mit ihrem Anouar, 4, ins Zimmer kommt. Die Anouar-Mama ist nicht ganz so ruhig und liebevoll zu ihrem Kind, wie Lena. Das Kind weint, was logisch ist, er ist frisch operiert und die Mama ist gereizt, ungeduldig und plärrt auf ihr heulendes Kind ein. Ich gehe raus mit meinem Buch in die Kletterpflanzenhalle.

Die Anästhesistin erklärt mir nochmal alle Risiken der OP im Detail, fast glaube ich, dass sie mitfühlend meine Hand nehmen will. Sie meint, an meiner Stelle würde sie wohl dankend ihren Hut nehmen und gehen. Danke, sehr aufbauend. Wie bekifft gehe ich zurück in mein Zimmer zur wütenden Anouar-Mama.
Tochter kommt. Wie ein Engel steht sie da und ich freu mich überschwänglich. Wir schlurfen in die Cafeteria und reden, das heißt, sie redet und ich höre zu und es tut so gut ! Sie ist geknickt und will garnicht wieder gehen. Arme, süße Maus! 
Mein Abendessen besteht aus 2 Scheiben Mischbrot von vorvorgestern, 3 Käsescheiben und Senfgurken. Yammi ! Ich denke an meine Restaurantkritik-Gruppe in facebook, die würden kein gutes Haar an dem KH Essen lassen. Ein Telefonat mit Waldfeger tut mir in der Seele gut, ich kann herrlich offen reden, muss nichts verschweigen um keine Sorgen zu verbreiten und keine Rücksicht auf eventuell verletzte Gefühle nehmen - ein Waldfegertelefonat ist pur. Genau das was ich brauche. 
Bis Mitternacht darf ich essen und trinken, und das tu ich ausgiebig. Hab Schiss vor morgen, die OP soll gegen Mittag sein. Eigentlich mag ich ja mein Gesicht .. ich zwinge mich, positiv zu denken. Die holen mir den Rotz raus und gut is. Wirst sehen!

Ich bekomme 2 LMAA Tabletten und bilde mir ein, voll cool in meinem Bett zu liegen, mit diesem sexy OP Hemdchen, als die nette Schwester kommt um mich mit Bett weg zu schieben. Ich freue mich, dass ich Aufzug fahren darf, befinde mich plötzlich in einem Raum mit vielen Menschen mit Mundschutz. Da ist Alex Karev - doch Grey's Anatomy? Karev bittet mich, mir einen Traum auszusuchen - ich sehe spontan meine Kinder vor mir, die mir vormachen wie der Affe macht (U-HUUU) und muss grinsen. Karev lacht und weg bin ich.
Aufwachen in einem sehr großen Saal. Ich blinzle - keine Doppelbilder. Lippe - check. Zähne - check. Auge - check. Nase - ist eingebunden. Gut. Meine linke Gesichtshälfte gehört mir nicht aber alles scheint funktionsfähig. Ich warte auf die Übelkeit nach einer Narkose, kommt aber nicht. Ich bin nur erleichtert. Ich bekomme was gegen die Schmerzen und atme durch den Mund, der furztrocken ist. Die Schwester sprüht mir ein Zeug in den Mund - Speichelersatzspray. Lecker!! Dann werde ich wieder in mein Zimmer geschoben, es ist 18:15 Uhr. 6 Stunden ?? Und dann penn ich. Lange, lange. Einmal hilft mir ein hübscher Pfleger, Pfleger Michael, aufs Klo, dann wird mir kurz schlecht aber ohne es zu merken penn ich schon wieder. 
Die ungeduldige Mama mit ihrem Anouar ist gegangen, ich bin alleine. Herrlich. Aber nur kurz, dann kommt Frau Grasser. Sie weint und ist ganz neben sich. Ihr mann hat scheinbar auch nicht alle beieinander, er schimpft, sie soll jetzt mit der Flennerei aufhören, das bringt nix, hör jetzt auf zu heulen. Und dann sieht er meinen Blick, komm nur Bürschla, sag bitte auch was zu mir, du kommst mir grade recht! Macht er aber nicht. Was für ein liebevoller Mensch. Ob seine Frau wehleidig ist, muss ich erst noch hereausfinden.
Bald kommt mein Waldfeger! 
Es ist super, wenn Besuch kommt. Ich lieg ja nur rum und schau TV oder sitze am Fenster und lese "Die Verschworenen". Es klopft und sie steht mit Nichte da und wir grinsen alle drei. Tristesse unterbrochen! Ich kann alles von der OP erzählen, finde Zuspruch und Trost. Wachablösung von Papa, Tochter und Sohn, wir gehen in die Cafeteria, Eisschokolade trinken. Die Kinder kabbeln sich, Papa schweigt. Wie hab ich es vermisst! Die Kellner fixieren Tochter, wie überall und meist erzählt sie, die beiden Jungs schweigen eher. Ich wundere mich, wie sehr es mir fehlt, der graue Alltag. Und sogar die Arbeit. Ein bisschen. Es tut gut, zu zu hören, trotzdem ist es anstrengend. Den Weg zurück muss ich mich bei Papa einhängen und ich schwanke glücklich in mein Zimmer. Wie kann ein kurzer Besuch und dieser Weg ins Zimmer so anstrengend sein? 
Am Abend bin ich "fit wie Affe" wie Oma immer sagt. Ich schau "back to school" mit Thomas Gottschalk und während die Sendung läuft, überlege ich, was ich danach tun soll. Vielleicht lesen am offenen Fenster? Die Kühle der Nacht? Aber erst ein bisschen hinlegen .. eingeschlafen.
Die Nase läuft und läuft, ich hab einen immensen Taschentuchverbrauch. Und ich darf mich nicht schneuzen, nur tupfen. Atemlos durch die Nacht ... tupf tupf.

Endlich Frühstück! Ich gewöhne mich schnell an diesen service.
Ich kenn meine Nase nicht mehr, was man da alles reintun bzw. rausholen kann!! War eben bei der Visite und ein sehr gut aussehender Arzt informiert mich, nachdem er 2 o.b.'s aus meinem Gesicht  gezogen hat, dass meine Nase jetzt täglich abgesaugt werden muss. Ich werde geschneuzt, sozusagen. Er demonstriert auch gleich, wie ich mir das vor zu stellen hab - er saugt. Ein Gefühl von >frisch operierte, blutige Schleimhaut wird abgeschabt<. Dann bekomm ich noch einen halben Meter Watte in die Nase zum Weiten. Ich finde meine Nase in letzter Zeit ziemlich universell.

Oma war da. Ist schön, tatsächlich wieder alles von vorne zu erzählen. Und Neuigkeiten zu hören. Man nimmt sich viel mehr Zeit füreinander als sonst. Ich genieße das, ich stehe im Mittelpunkt. 
Der restliche Tag ist sehr "gechillt", ich lese, schaue, verstelle mein Bett in alle Richtungen, sprühe mein Speichelersatzspray in den Mund ... was für ein Leben!

Gar keinen Besuch zu bekommen ist doof. Heute war schon so ein blöder Tag mit durchwachter Nacht, Kopfweh, einem rabiaten Arzt, der mir das Hirn aus der Nase saugt und müde müde müde. So um 16 Uhr hab ich mit niemandem mehr gerechnet und bin durchs KH spaziert. Mir fällt auf, dass die Leute hier alles so sehr mit sich selbst beschäftigt sind, dass keinem einzigen ein Lächeln auskommt oder ein freundlicher Blick. Unter all der Missgunst bin ich lieber wieder zurück zum Zimmer geschlurft und wat seh ick da? Dat Waldfegerlein! Ach wie schön !!  Wir reden viel, bis uns ein Klopfen unterbricht und Papa, Tochter und Söhnchen zu uns reinkommen. Ist doch noch Besuch gekommen, und gleich so viele :-) Wir gehen Kaffee trinken, Tochter erzählt, Sohn schmollt, Papa ist überfordert - ach wie schön wieder heim zu kommen. Wenigstens ein bisschen den Überblick haben, ein bisschen vermitteln und puffern. Ich hab stark das Gefühl, dass Sohn nicht viel zu lachen hat zu Hause, ich muss ihn unterstützen.
Morgen rufe ich in der Arbeit an, melde mich lebendig und werden den letzten Tag hier genießen, an dem es nur um mich geht.

Heute ist es echt besser. Ich fühle mich nicht mehr so schlapp und Kopfweh ist auch weg. Vorhin bei der Visite - entweder liegts daran, dass es eine Ärztin  oder dass einfach wenig Material vorhanden war - es hat diesmal nicht weh getan! Hurrah! Guter Start in den Tag. Nach einer Nacht voll wirrer Träume. Es ist ungewöhnlich, dass ich mich so sehr auf mich selbst konzentriere. Eigentlich bin ich schon in schlimmerem Zustand in die Arbeit als ich jetzt bin, aber ich bin seltsam wackelig und unbelastbar und deswegen vernünftig. Die Ärztin sagt, ich darf mich oder besser soll mich 2-3 Wochen nach der OP nicht anstrengen, weil ein erhöhter Blutdruck die Wundheilung beeinflussen kann. Steht auch im Merkblatt.
Gestern Abend hat irgendwo eine Frau geschrieen, herzzerreißend. Ich tippe auf eine Geburt. Oder eine Russin. Armes Mensch, ein Haus des Schmerzes ... man ist ganz hilflos, vor allem, weil der Tag so dahinplätschert ohne große Eckpunkte außer den Essenszeiten. Pfeiler, nach denen man sich richten kann. Und ich richte mich auch, ich bekomm tatsächlich Hunger um halb sieben, um halb zwölf und um halb sechs. Sagamal, um halb sechs hab ich sonst noch ne halbe Stunde Arbeit, gehe dann erst einkaufen und dann erstmal kochen ... Gewohnheit ist alles.
Eben teilt mir meine Zimmergenossin mit, dass sie heute entlassen wird. Und ich hatte mich so an sie gewöhnt - super nette Frau, die auch ein offenes Fenster liebt. Sie kann ihren "Ego-Aufenthalt" hier im Krankenhaus noch bis nach dem Mittagessen genießen, dann holt sie ihr netter Mann ab.
Hoffentlich kommt dann nicht wieder ein Kind hier rein - ich liebe Kinder, die sin unterhaltsam, aber das bedeutet Geschrei, Geschnarche und geschlossene Fenster. No go.

Ist kein Kind, ist eine ältere Frau, die um 22 Uhr in mein Zimmer kommt. Sie redet nicht viel, hat wohl auch was mit dem Ohr, aber sie schnarcht. Ich wär beinah wahnsinnig geworden!
Den ganzen Tag lieg ich sinnlos rum, schau TV, lese, schau, lese, schau .. dann hab ich nen Spaziergang gemacht, hab Tauben beobachtet. Ich glaub, mir war noch nie so langweilig.
Die Nacht war - dank der älteren Frau - echt fies. Und meine Nase war zu. Ich würd mich so gern mal richtig schneuzen dürfen! Jetzt sitze ich grade am Tisch und schreibe, aber auch nur um meinen Platz am Fenster nicht zu verlieren. Wer weiß, die setzt sich vielleicht gleich da hin, wenn ich weggeh. Vorsichtshalber lasse ich Buch, Block und Stift hier liegen.

Heute werde ich entlassen. Ist auch gut so, hier bin ich zu sehr auf mich fixiert, das ist nicht gut, und ich weiß auch nix mehr mit mir an zu fangen. Horoskop sagt: für Sie kommt heute etwas zum Abschluss. Das bringt ihnen mehr Freiraum. Hahahaha, wie wahr!
So jetzt wirds aber langsam Zeit fürs Frühstück, dann Visite, Tasche packen und auf Papa warten!

Das war lang.
Ich bin seit fast einer Woche wieder daheim, werde alle 2 Tage von der HNO Ärztin abgesaugt (da hauts dich von den Füßen!) und kämpfe mit meinem Kreislauf. Eine Woche bin ich noch krank geschrieben, ob das reicht weiß ich nicht. Aber kann ich meine Kollegen so lange im Stich lassen? Ich werde es in die Hand des HNO legen.
Einmal einkaufen fahren oder bisschen Wäsche bügeln reicht schon, um mich japsend auf s Sofa fallen zu lassen. Jetzt würde ich mir die Arbeit nie und nimmer zutrauen. Außerdem ist mein Kopf leer, echt, ich hab nämlich keine Idee, was ich Papa zum Geburtstag nächste Woche schenken soll.


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