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Mittwoch, 9. November 2022

Böse Erinnerung

Die liebe Christine vom Blog frau vom main hat einen interessanten Beitrag geschrieben.  Nein, falsch, all ihr Beiträge sind interessant (*hust) aber dieser eine hier ganz besonders. Sie hat einem gegebenen Impuls folgend aufgeschrieben, was ihr als spontane Erinnerung in den Sinn gekommen ist. 
Manchmal schwappt eine absolut unvorhergesehe und längst vergessen geglaubte Erinnerung über dich herein und dann muss man damit klarkommen. Woher das so plötzlich kommt, ist schwer zu sagen. Manchmal verwirrt es, manchmal gibt es Grund zum nostalgischen Lächeln, manchmal denkt man traurig dahin zurück.

Seit ich meinen Gesamtumfang verringern konnte, hab ich das folgende Problem zum Glück nicht mehr. Und ich weiß es bewusst immer wieder zu schätzen!Aber ich erinnere mich genauestens daran, wie man sich in solch einer Situation fühlt. 

Hier ist meine Erinnerung


Der Kaffeehausstuhl

Wir laufen durch die Innenstadt, meine Tochter und ich. Nach einem ausgiebigen und erfolgreichen Gestöber im Buchladen suchen wir gut gelaunt und beschwingt einen Platz zum Ausruhen.

Tochter hat Hunger. Sie ist 12 und hüpft neben mir her. Die Sonne scheint, es ist angenehm warm, der Frühling wechselt grade in den Sommer und ich hab Lust auf einen Becher Kaffee und was Feines.

Während wir laufen, schaue ich fast nur auf den Boden.

Schon lange hab ich mir abgewöhnt, den Leuten ins Gesicht zu schauen.
Denn dann seh ich ihre Reaktionen. 
Erschrockene Blicke. Ablehnung. Belustigung. Abscheu.

Ich will es vermeiden, keine Kraft und keine Lust auf Konfrontation.

Im Vorbeigehen überhöre ich ein "Boah ist die fett, Alter!" krampfhaft.
Wer "Alter" sagt, dem ist eh nicht mehr zu helfen.

Und ich schaue auf den Boden.

Tochter entdeckt ein Straßencafè und zieht mich an der Hand dorthin.
Ich kenne das Lokal, da war ich als Teenie oft. Ist cool. Bloß nicht die Bestuhlung. Mein geübter Blick streift sofort die Stühle, die um die runden Tische stehen.

Zu klein. Viel zu klein. Geh weiter! Nicht für dich!

Aber Tochter sitzt schon an einem der Tischchen und ist happy. 
Setz dich, Mama! Hier ist es schön!

Blitzschnell scanne ich die Leute in der näheren Umgebung. 

Zwei junge Frauen direkt neben uns. Na toll. Gestylt und teuer gekleidet. Ich weiß es jetzt schon.

Ein älteres Paar, eine Frau mit Kopfhörern, eine gelangweilte Dame.

Und ich weiß einfach, was kommt.

Beiß die Zähne zusammen! Ausatmen.

Ich zieh den Stuhl zurecht. Das Stühlchen. Klein wie im Kindergarten. Bambusrohr.

Klar, ich passe nicht rein. Ich kann garnicht reinpassen, wie auch.

Trotzdem quetsche ich mich auf den Sitz und es knarrt im Bambus.

Sie schauen mich an. Die beiden geschminkten Tussen, die beiden Rentner, die gelangweilte Frau.

Ich schau nicht zurück, aber ich spüre die Blicke. Und sie lassen ihren Blick auf mir ruhen. Entertainment!

Schau, ob die Dicke den Stuhl sprengt!

Es tut weh. Meine Schenkel werden übelst zusammengequetscht.

Morgen werde ich an den Außenseiten zwei blaue Flecke haben. Die Bambuslehne schneidet sich ins Fleisch.

Es drückt und sticht und tut weh.

Und es muss fürchterlich aussehen, wie mein Hintern zur Seite rausquillt.

Ich schau verstohlen nach rechts. Die Tussen flüstern grinsend miteinander. 

Das Rentnerpaar starrt weiterhin ohne Rücksicht oder Scham auf mich. Ich kann sie denken hören und warte, bis einer laut diese gemeinen Gedanken ausspricht. Jeder um mich herum hat diese Gedanken!

Es brüllt mir aus allen Himmelsrichtungen entgegen:

"Wie kann man nur so fett sein? Ich würde mich schämen!"

Und das tu ich auch, mich schämen.

Sitze da in den Stuhl gepfärcht wie eine Presswurst. Ich fühl mich auch so.

Presswurstmäßig.

Tochter möchte etwas essen. Sie fragt, was ich essen möchte.

Ich hab Hunger.

Aber ich werde auf gar keinen Fall hier etwas essen! Kommt nicht in Frage. Völlig ausgeschlossen!

Die Bedienung kommt und schaut mich herablassend an.

Nein ich bilde es mir nicht ein.

Tochter bestellt und ich hätte gerne ein Glas Wasser, ein kleines.

Was dazu?

Eine Papiertüte für meine Kopf und einen Schneidbrenner für den Stuhl.

Nein danke!

Ein verstohlener Blick zu den Leuten. Die Rentner und die gelangweilte Frau starren mich an, immernoch.

Ich sollte zurückstarren. Ausstarren nennt das meine Schwester.

Aber ich kann nicht. Ich schäme mich zu sehr.

Ich schäme mich, dass ich hier bin.

Im Cafè. In dieser Stadt. Auf der Welt.

Eigentlich darf ich garnicht hier sein, so wie ich aussehe. Keine Berechtigung.

Genau das vermitteln mir die Blicke, die von allen Seiten kommen.

Der Stuhl tut echt weh.

Tochter lacht mich an, erzählt mir fröhlich irgendwas, macht Quatsch.

Und ich denke mir, das ist der Grund!

Deswegen sitze ich hier wie ein Karnickel eingefangen in diesem fürchterlichen Stuhl!

Weil ich mir meiner wunderbaren Tochter hier bin!

Ihr nicht, ihr habt keine wunderbare Tochter, aber ich schon!

Und mit all meiner Konzentration, die ich aufbringen kann, widme ich mich nur meinem Kind.

Ich ziehe imaginäre Scheuklappen auf und fixiere nur mein Mädchen.

Für den Moment hilft das. 

Aber ich werde noch jahrelang an diese Situation denken. Es wird mich verfolgen und mich nicht vergessen lassen.

Beim Aufstehen knarrt der Stuhl wieder laut und gut hörbar. Ich schäle mich aus seinem Klammergriff.

Alle, echt alle schauen zu mir.

Wäre ich taff, würde ich mich in alle Richtungen verbeugen und versichern, dass ich noch die ganze Woche hier bin.

Aber ich bin nicht taff. 

Ich bin nur eine normale Mama. Dankbar, dass mein Kind bei mir ist. Dankbar für meine wunderbare Tochter!

Und ich will schnell weg von hier.

Zu Hause mach ich mir was zu essen. 

Und heule eine Runde.


Nichts wird in der Gesellschaft so geächtet, wie eine dicke Frau.






1 Kommentar:

  1. Liebe Sabine, uups! Schon erstaunlich, was die graue Masse zwischen den Ohren so für Erinnerungen auslöst. War mein Beitrag der Auslöser?
    Danke für Deine Erinnerung. Und das Du sie teilst. Tja, manche Menschen sind leider bösartig. Und einfältig. Das jemand nicht dem aktuellen Schönheitsideal entspricht, bietet für niemanden die Rechtfertigung komisch zu gucken, zu tuscheln oder sonst etwas. Denn keiner kann in die Person reinschauen und die möglichen Gründe für das „Anderssein“ erkennen. Mehr Kilo auf den Rippen heißt ja nicht zwangsläufig, dass die betroffene Person zu viel ist.
    Schön ist, dass dies Deiner Tochter vollkommen egal war. Sie war mit ihrer Mama unterwegs. Ihr habt Zeit miteinander verbracht. Und sie hat es genossen. Mit Dir, in diesem Straßencafé. Und das ist doch das, was zählt.

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