Natürlich ist es einem bewusst, dass man keine 20 mehr ist. Man siehst es, man fühlt es, man weiß es. Mein Körper sorgt stets dafür, dass ich es nicht vergesse. Danke dafür nochmal. Alt & am Limit. Gestern Nachmittag komm ich zurück in die Praxis, da sitzt eine Kollegin, die aus einer unserer anderen Praxen als Aushilfe bei uns ist. Die Kollegin - ich nenn sie mal Springmaus - schätze ich auf Anfang 20. Sie ist dünn wie ein Faden und hochmotiviert. So hoch motiviert, dass es fast nicht auszuhalten ist. Ich weiß, dass sie ein ganz lieber Mensch ist. Aber gestern war ich etwas genervt. Sie saß im Labor und ich stand da wie bestellt und nicht abgeholt, ist das Labor doch mein Revier. Ein erster liebevoller Hinweis meines Hirns, dass ich alt bin. Ich wollte an meinen Platz! Die Springmaus nahm mir alles aus der Hand, was ich sonst mache. Also wollte ich die letzen 4 Dosen Biontec Zauberserum aufziehen, bloß geht das nicht im Stehen. Was ein weiterer Hinweis auf mein Alter war. Ich muss mich hinsetzen. Mein Kreuz!! Außerdem brauch ich Ruhe, die Aufzieherei ist mühsam und muss exakt genau gemacht werden. Die Springmaus will mir den Stuhl geben und mach Anstalten, sich auf den Boden zu knien, was ich zum Glück unterbinden konnte. Ich bin mit meinem Zeug ins Büro, da konnte ich altersgemäß arbeiten. Als die Spritzen einsatzbereit im Labor zur Verfügung standen, war sie so sehr in ihrem Element, dass ich mir einfach meinen Haufen noch nicht erledigtes unter den Arm geklemmt hab und zurück ins Büro gezogen bin. Hat auch was gutes, in dem Zimmer gibt es ein Fenster. Die Springmaus ist schnell. Superschnell. Während sie die Impfpässe jongliert, rechnet sie gleichzeitig alles ab und hat sogar Zeit, ihr Handy zu zücken. Beneidenswert. Ich merke wiedermal, wie langsam ich geworden bin. Immer wieder sagt mir meine innere Elinor, dass ich gut arbeite und echt schnell vorankomme, aber wenn ich die Springmaus sehe, ist Elinor still und mein Jürgen lacht mich schallend aus.
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Freitag, 21. Mai 2021
Grufti-Gedanken
Ich füttere den Pc mit Ergebnissen und Werten und merke, wie müde ich bin. Meine Augen fallen mir zu, immer wieder. Während die Springmaus ständig aufspringt (!) und durch die Praxis hüpft, bisschen hier, bisschen da, sie hilft überall. Ich hüpfe schon lange nicht mehr. Du bist eben eine alte Schachtel, schreit Jürgen, das Arschloch.
Die letzten Patienten verlassen geimpft, gepimpt und versorgt die Praxis und mit ihrer lauten, lustigen Art beansprucht die Springmaus alle Aufmerksamkeit. Ich bin ein bisschen neidisch, weil was ich so sage und frage, interessiert niemanden. Das team ist irgendwie zerrupft und funktioniert nicht.
Während ich mich darüber ärgere, dass ich ungehört selber mit meinem Zeug klarkommen muss, bin ich unkonzentriert. Die Springmaus hat alles fertig, hilft der Kollegin beim Auszählen (easy auf dem Boden sitzend) und verlässt, relativ pünktlich und fröhlich den Arbeitsplatz.
Ich muss soviel aufarbeiten, dass ich noch eine Stunde allein hierbleibe. Würde ich auf dem Boden sitzen wollen, wüsste ich nichtmal, wie ich da runter kommen sollte, geschweige denn jemals in meinem Leben wieder aufstehen! Ich würde für immer da sitzen bleiben und hoffen, dass mich jemand füttert. Und wie ich so allein in den Gängen hin und her renne um alles zu erledigen, weiß ich definitiv, dass ich einfach echt alt bin. Fast zu alt für diesen ganzen Zirkus.
Kollegin P ist 7 Jahre älter als ich und sieht mich als ihre Komplizin. Sie sagt immer zu mir, "ach das sollen die Jungen machen, die sind noch voller Idealismus." Oder "weißt du noch, als die Autos Kassettendecks hatten?" oder " früher mussten wie die Krankenscheine noch zählen, per Hand!"
Ich hab dann das Gefühl, aus der Steinzeit zu kommen.
Ein Grufti.
Oder ein Komposti.
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... Verwesi.
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